Galerie der Motivwagen 22: Kreativarbeit, Handwerk & ein Trostpflaster

AUSGEFALLEN

Ausgefallen

Galerie der Motivwagen 22

Annähernd 200 Jahre ist er alt und weltbekannt. Der große Mainzer Rosenmontagsumzug.

Doch trotz seines hohen Alters kommt er selten altehrwürdig oder staatstragend daher. Ausgelassen, bunt und frech – das sind die bewährten Attribute, mit denen er Jahr für Jahr hunderttausende fröhliche Menschen auf die Straßen von Mainz lockt.

Zuletzt waren es regelmäßig über 500.000 kleine und große Närrinnen und Narren, die den Zug, mit seinen rund 9000 Aktiven, verteilt auf 150 Zugnummern, säumten. Über zwei Jahrhunderte stetig gewachsen, ist der Rosenmontagszug zum berühmtesten touristischen Aushängeschild unserer Landeshauptstadt geworden.

Für die karnevalistische Brauchtumspflege ist der größte Umzug der Stadt außerdem von unschätzbarem Wert. Muss er abgesagt werden, dann passiert das ganz schweren Herzens. Nur insgesamt vier Mal geschah dies seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses Jahr, wie leider auch im letzten, wegen des Ausbruchs der Corona Pandemie.


Motivwagen

Überragende Satire auf Rädern

Organisation und Durchführung des Rosenmontagszuges übernimmt, seit seiner Premiere im Jahre 1838, der gleichaltrige Mainzer Carneval-Verein (MCV). Viel Arbeit, die weit vor der traditionellen Zugaufstellung in der Mainzer Neustadt beginnt und lange nach der letzten Kehrmaschine in der Mainzer Altstadt endet.

Echte Highlights eines jeden Rosenmontagszugs sind die sogenannten Motivwagen, deren aufwändige Gestaltung im Kreativkreis des MCV ihren Anfang nimmt. Rund ein halbes Jahr vor dem Umzug beginnen dort die Köpfe zu rauchen. Zur Ideenfindung, aber nicht für Vorträge in der Bütt, sondern für die Leuchttürme der politisch-literarischen Straßenfastnacht.

Auf der Suche nach närrischen Motiven wird „dem Volk aufs Maul geschaut“ – Politik, Gesellschaft, Prominente sind das Ziel. Nur die stärksten Einfälle schaffen es in die engere Auswahl. Die Herausforderung: Was lässt sich in großem Bild und wenigen Worten so gekonnt zuspitzen, dass es in der Flüchtigkeit eines vorbeirollenden Wagens zum Erfolg wird?


Kreativarbeit

Von der Idee in die Werkstatt

Was im Wagenbau funktioniert, weiß einer am allerbesten: Dieter Wenger, seit 1962 mit seinem Team verantwortlich für die bauliche Umsetzung der Mainzer Motivwagen. Über 30 Frauen und Männer unterschiedlichster handwerklicher und kunsthandwerklicher Berufe sorgen unter seiner Regie für die Fertigung der fahrenden Monumente.


Bevor Wengers Team aber ans Werk gehen kann, braucht es zunächst aussagekräftige Vorlagen. Hier unterstützt Karikaturist und Maler Michael Apitz den Mainzer Kreativkreis. Seine schnellen und pointierten Zeichnungen helfen den Kreativen dabei, noch im Meeting die Entscheidung für oder gegen eine Motividee zu fällen. Am Ende steht eine finale Auswahl mit bis zu 15 tollen Kreationen für den Rosenmontagszug.

Während der Rest des Kreativkreises sich anschließend um prägnante Motiv-Titel und die obligatorischen närrischen Versbegleitungen bemüht, geht Michael Apitz an die Feinarbeit. Aus seinen fixen Scribbles erwachsen detailreiche und colorierte Cartoons. Hier zur Schau gestellt – in unserer Galerie der Motivwagen.


Handwerk

Epizentrum MCV-Wagenhalle

Kleine Kunstwerke sind die Motive schon jetzt. Zu übergroßen Kunstwerken geraten sie schließlich in der Wagenhalle des MCV. Im Schichtbetrieb. Jedenfalls in normalen Jahren. Hier kommt, nach all der kreativen Arbeit, auch endlich echte Muskelkraft zum Einsatz.

Basis der närrischen Gefährte sind umgebaute Chassis von Linienbussen. Diese haben von Dieter Wenger stabile und publikumssichere Stahlrahmen verpasst bekommen. Und genormte Gerüste für die jährlich wechselnden Aufbauten. Ob Dom, Donald Trump oder Deutscher Michel: Grundstoff der eigentlichen Baukörper ist seit 1967 das allseits bekannte Styropor. Leicht und schnell zu verarbeiten. Noch dazu wasserfest und beständig.

Mit heißem Draht und scharfen Messern werden große Styroporblöcke zunächst grob zugeschnitten und positioniert. Dann folgt die plastisch detailreiche Schnitzkunst. Schleifen, Spachteln, Kleben. Ganz zuletzt müssen die strahlend weißen Okolyten mit Papier kaschiert und originalgetreu bemalt werden. Erst Farbrollen, Pinsel und feine Sprühspritzen hauchen den faszinierenden Figuren schließlich Leben ein. Ist alles fest und betriebssicher? Voilà!

Fertig ist der Motivwagen. Narrhalla-Marsch und Auszuch!


Trostpflaster

Vierfarbbunte Kreationen auf der Lu

Wenn die vielstimmigen „Ohs“ und „Ahs“ der vielen Närrinnen und Narren durch die Gassen schallen, dann ist die nächste Zugnummer ganz sicher ein Motivwagen. Überwältigt von der schieren Größe der Modelle. Verblüfft von Idee und Witz der Motive, mal feinsinnig, mal bissig, mal mit dem großen Dampfhammer. Emotionen, die wir uns alle auch in diesem Jahr so ersehnt hätten.

Ein kleines Trostpflaster für Sie und uns soll daher diese Galerie der Motivwagen sein. Es bleibt uns nur, Ihnen viel Freude und närrische Anregung beim Gang entlang unserer vierfarbbunten Kreationen auf der Lu zu wünschen. Hoffen wir, dass die neuen Motive der nächsten Kampagne dann wieder überlebensgroß durch unsere geliebte Heimatstadt rollen werden.

Bleiben Sie gesund und erhalten Sie sich Ihren Frohsinn!
Mit dreifach donnerndem Helau Ihr Kreativkreis vom MCV

Schwellköpfe

AUSGEFALLEN galerie der motivwagen 22
Präsentiert von LU: LEGT LOS
Realisation: Kreativbüro Mainzer Ring
Texte & Layout: Emi Schömer, mzring.de
Motive & Verse: MCV Kreativkreis
Zeichnungen: Michael Apitz
Fotos: MCV-Archiv, Andreas Johannides, Thomas Gottfried, Dieter Wenger, Sascha Kopp

MVC Kreativkreis